Praktikum: Warum es nicht darum geht, „wichtige Aufgaben“ zu bekommen – sondern den richtigen Platz für dich zu finden
- Benedikt Kiessling
- 25. Aug.
- 4 Min. Lesezeit
Ich erinnere mich noch genau an mein erstes Praktikum. Ein riesiger Konzern, glänzende Glasfassade und Lobby wie aus einem Hochglanzmagazin. Ich war stolz wie Oskar und voller Tatendrang, doch die Euphorie hielt nicht lange. Meine Aufgaben waren, Tabellen zu aktualisieren, Protokolle zu schreiben und hier und da etwas recherchieren. Ich hatte die Vorstellung, direkt an verantwortungsvollen Projekten mitzuwirken, aber das war nicht der Fall.
Ehrlich gesagt war ich enttäuscht. Ich dachte: „Dafür habe ich mich monatelang beworben?“
Doch heute, mit etwas Abstand, erkenne ich: Dieses Praktikum war eines der wertvollsten Erfahrungen meines Studiums, aber nicht wegen der Aufgaben. Sondern weil ich etwas viel Wichtigeres gelernt habe:
Bei einem Praktikum geht nicht darum, direkt Verantwortung zu übernehmen. Nein, ein Praktikum zeigt dir, ob du in einem gewissen Arbeitsumfeld zurechtkommst und langfristig glücklich wirst.
Der erste Aha-Moment: Der Konzern
Im Konzern war alles strukturiert bis ins kleinste Detail. Es gab klare Prozesse, Hierarchien und Regeln. Jeder wusste genau, was er zu tun hatte. Sicherheit und Stabilität waren die DNA dieses Unternehmens.
Für viele ist auch genau das ein Traum: klare Karrierewege, definierte Aufgaben und ein sicheres Gehalt. Für mich war es damals eher ein goldener Käfig. Ich spürte, wie schwer es war, eigene Ideen einzubringen oder mal einen unkonventionellen Weg zu gehen.
Die Erkenntnis nach ein paar Wochen: Egal, wie spannend die Branche ist, wenn mir die Art zu arbeiten nicht liegt, werde ich hier nicht glücklich.
Der zweite Aha-Moment: Das Startup
Mein nächstes Praktikum führte mich in ein kleines Startup. Keine schicken Büros, dafür jedoch ein kleiner Raum voller Energie. Statt Hierarchien gab es Chaos, aber auch viel Freiheit. Plötzlich durfte ich Dinge ausprobieren, Ideen vorschlagen und selbst Verantwortung übernehmen.
Das mag perfekt klingen, aber diese Freiheit bedeutete auch: viel Unsicherheit, wenig Struktur und ständiger Druck. Es gab Tage, da habe ich das geliebt und andere, da hat es mich völlig überfordert.
Meine Erkenntnis: Nicht nur „freie Entfaltung“ klingt gut. Ich musste ehrlich mit mir selbst sein: Wie viel Struktur brauche ich, um produktiv zu sein? Wie viel Freiheit, um mich lebendig zu fühlen?
Der zweite Aha-Moment: Das Startup
Nach mehreren Praktika und ein paar wertvollen Impulsen meiner damaligen Mentoren habe ich verstanden: Ein Praktikum ist kein Ort, um in drei Monaten die Welt zu verändern.
Es ist ein Spiegel, in dem du erkennen kannst:
Passen die Menschen zu mir? Inspirieren sie mich, fordern sie mich, oder rauben sie mir Energie?
Kann ich mit den Werten leben? Wird hier nur auf Zahlen geschaut oder zählt auch Menschlichkeit und Entwicklung? Beides ist okay.
Wie fühlt sich der Alltag an? Fühle ich mich nach einem Arbeitstag erfüllt oder ausgelaugt?
Kann ich mir vorstellen, hier langfristig zu wachsen?
Die Aufgaben beim Praktikum sind dabei zweitrangig. Klar, sie geben dir einen Vorgeschmack auf den Job. Aber der größere Schatz liegt im Erkennen, ob dieses Umfeld dich auf lange Sicht stärkt oder schwächt.
Der zweite Aha-Moment: Das Startup
Die meisten Studenten unterschätzen diesen Punkt. Sie suchen Praktika, die „im Lebenslauf gut aussehen“, und übersehen dabei das Wesentliche:
Du wirst später mit großer Wahrscheinlichkeit mehr Zeit mit deinen Kollegen verbringen als mit deiner Familie. Wenn du in einer Umgebung landest, die nicht zu dir passt, wirst du nie dein volles Potenzial entfalten.
Ein Praktikum ist deshalb wie ein sicherer Probelauf. Du darfst eintauchen, ohne dich gleich für Jahre zu verpflichten. Du testest, wie es sich anfühlt, und entscheidest dann, ob du tiefer einsteigen willst.
Der zweite Aha-Moment: Das Startup
Ich habe in meinen Praktika gelernt: Nicht die Aufgaben machen den Unterschied, sondern die Einsicht, ob ich in diesem Setting gedeihen kann.
Die entscheidenden Fragen lauten nicht: „Welche Projekte durfte ich machen?“
Sondern: „Habe ich mich inspiriert gefühlt?“, „Konnte ich so sein, wie ich bin?“ und „Will ich mir vorstellen, hier in fünf Jahren zu arbeiten?“
Wenn du diese Fragen nach deinem Praktikum klar beantworten kannst, dann war es bereits eine erfolgreiche Erfahrung. Egal, ob du Präsentationen vorbereitet oder Listen gepflegt hast.
Wie du das Beste aus deinem Praktikum machst
Damit dein Praktikum zu einem Kompass wird, der dir Klarheit für deine zukünftige Ausrichtung gibt, kannst du einiges tun:
Sei Beobachter. Achte nicht nur auf Aufgaben, sondern auch auf die Atmosphäre. Wie gehen Kollegen miteinander um? Welche Energie liegt im Raum?
Frag nach. Sei neugierig. Nicht nur fachlich, sondern auch menschlich: „Was gefällt dir an deiner Arbeit am meisten?“ kann dir mehr über den Job verraten als jede Stellenanzeige.
Reflektiere. Schreib dir jede Woche auf: Was fühlt sich stimmig an? Was stößt mich ab?
Teste dich selbst. Trau dich, kleine Ideen einzubringen. Beobachte, wie das Umfeld reagiert. Das zeigt dir schnell, wie offen die Menschen für Entwicklung ist.
Denke langfristig. Stell dir vor, du würdest hier fünf Jahre bleiben. Engt dich der Gedanke ein oder gibt er dir ein stimmiges Gefühl?
Wie du das Beste aus deinem Praktikum machst
Heute weiß ich: Ohne meine Praktika – sowohl im Konzern als auch im Startup – hätte ich viel länger gebraucht, um herauszufinden, wo ich wirklich hingehöre.
Und genau das ist das Geschenk eines Praktikums. Es ist weniger ein „Karriere-Booster“ als vielmehr ein innerer Weichensteller. Es zeigt dir weniger, was du kannst, sondern viel mehr, wo und mit wem du auf lange Zeit arbeitest.
Wie du das Beste aus deinem Praktikum machst
Ein Praktikum ist nicht der Ort, um gleich große Verantwortung zu übernehmen. Es ist der Ort, um zu erkennen, ob du an diesem Platz aufblühst.
Wenn du mit dieser Haltung hineingehst, verschiebt sich deine Perspektive. Du fragst nicht mehr: „Welche Aufgaben bekomme ich?“
Sondern: „Fühlt sich dieses Umfeld so an, dass ich hier mein Potenzial entfalten kann?“
Und wenn du das weißt, dann hast du aus deinem Praktikum mehr mitgenommen als jede Liste an Aufgaben dir jemals geben könnte.